Von Bauenden, Musizierenden und Spielenden

Zwei virtuose Organisten, zwei handfertige Orgelbauer, der Orgelkenner und ich sitzen bis spät abends im Lokal gegenüber des Instituts für Kirchenmusik. Es ändert sich nicht viel, ob wir Ethnomusikolog:innen sind, Musiker:innen oder eben Orgelliebhaber:innen, es geht immer um das was wir liebend gerne tun: Tasterl drucken und Tasterl bauen.
„Welche Pfeiferl muss man nachstimmen? Verstimmen sich die Labial- oder die Zungenpfeiferl?“ fragt der Organist.
„Ist aber traurig, dass mir ein Organist diese Frage stellt!“ der Orgelbauer.
„Die Labialpfeiferl ‚verstimmen‘ sich mit der Lufttemperatur, deshalb müssen die Zungenregister dazu gestimmt werden!“ lässt mich der Orgelbauer erklären.
„Ich habe gehört, dass sich in speziellen Settings die Zungenpfeiferl auch mit der Temperatur mitstimmen“, meint der Organist.
„In speziellen Fällen, wo alle Bestandteile der Zungenpfeife harmonieren, passiert das tatsächlich! Aber dazu muss vieles passen.“
Während der Orgelbauer die Funktionsweise der Pfeiferl erklärt, mit stehenden Wellen und den schwingenden Zungen, die die Welle brechen, hören die beiden Tastenvirtuosen aufmerksam zu. Fast schon romantisch, wie sie an seinen Lippen hängen.
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„Weißt du, dass man von Bösendorfer direkt in den Musikverein kommt?“
„Ich darf im Musikverein sowieso alles“, zwinkert der Seniororgelbauer.
„Darf ich mit in die Steffl-Orgel?“, nutze ich den Moment.
„Ja klar, zum Stimmen brauche ich immer jemanden, der die Tasten drückt!“
Ob eine Organist:in im Musikverein auch alles darf? Die Orgelbauer dürfen. Wenn ich mit den Orgelbauern mitgehe, darf auch ich in die Eingeweide dieser imposanten Instrumente. Ob ich auch noch dürfte, wenn alle Bescheid wüssten, dass ich mich in verborgene Räume hineinschleiche?
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„Der Organist würde mir die Musik für den Kurzdokumentarfilm über die Konzerthausorgel einspielen! Um den mobilen Spieltisch auf die Bühne zu holen müsste ich 800 € zahlen.“
„Im Musikverein um eine Stelle mehr.“
„Ich könnte den Spieltisch für eine Reparatur herauffahren“, zwinkert mir der Orgelbauer zu. „Aber warum spielt er nicht den Mahagoni-Spieltisch?“
„Wird wohl eine Apkalna-Allüre sein?“, scherze ich.
Orgeln sind besondere Instrumente. Sie sind mitunter das Teuerste, was in einem Konzertsaal steht.
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Beide Orgelbauer arbeiten mit dem Wien Museum zusammen, wo historische Orgerl restauriert werden.
„Dort wird tagelang darüber gesprochen, was mit den Pfeiferl getan werden könnte. Erst dann greife ich minimal ein.“
„Es ist ein ganz anderer Zugang. Museen gehen mit der Zeit und den Instrumenten anders um. Wir werden normalerweise dazu gebraucht, um das Instrument spielbar zu machen. Im Museum geht es primär darum, die Substanz des historischen Instruments zu erhalten.“
Für das Wien Museum restauriert Parzer eine Multiplexorgel.
„Diese Multiplex ist sehr gefinkelt, ich werde deine Hilfe brauchen!“, meint Parzer zum Seniororgelbauer.
Dass Orgerl nicht nur in Kirchen stehen, sondern auch als Hammond-Orgeln auf Bühnen, als Mega-Wurlitzer in Kinosälen, oder als Multiplex im Depot des Wien Museum, das hätte ich auch nicht geahnt. In Großbritannien werden Kinoorgeln immer noch pausenfüllend gespielt und die Organist:innen wie Popstars gefeiert. In Wien wurden die Kinoorgeln bis auf Eine alle entsorgt. Ich sinniere über den Ballsaal von Some Like It Hot und stelle mir eine Mighty Wurlitzer darin vor, die besser als jede Steffl-Orgel das begeisterte Publikum zum Swingen animiert.

Anthropology of the Holy Sound

seit Jänner 2023 Feldforschung zur Kirchenmusik in Wien und an anderen Orten Österreichs.

Foto von der Gründonnerstagsmesse aus der Jesuitenkirche in Wien – wo ich mit den beiden Organistinnen Zuzanna Mika und Sophie Magnanini auf die Empore durfte, und wo theologisch gebildete Zuhörerinnen hellauf begeistert von der Frauenpower an den Tasten sind. Wer sonst dürfte in der Osternacht zum Gloria die romantische Orgel ausschalten, dass diese inmitten der vierhändigen Improvisation ihren letzten Ton aushaucht, damit die Aufmerksamkeit der Hörenden auf das Glockengeläute gelenkt wird?

Vom Steffl zu den Augustinern

„Wir vom Vorstand spenden, dass der Besuch der Messe bei freiem Eintritt bleibt. Damit möchten wir garantieren, dass auch ökonomisch schwächere Personen zur Messe kommen. Mit dem Körberlgeld alleine wären die Messen so nicht finanzierbar.“

„Neben der freien Zugänglichkeit war für mich als Musikanthropologin die Idee der interaktiven Performance ausschlaggebend dafür, mich mit dem Kirchenraum zu befassen. Außerdem dokumentiere ich seit Jahren katholische Feiern.“

Dass mir erst eine monströse Riesenorgel die grünen Schuppen von den Ohren bläst? Hätte ich nie geahnt. Der Klang dieser Pfeiferl hat mich so umarmt, wie das Meer, in dem ich fast täglich geschwommen bin, um die Wunden meiner Seele in des Meeres Unendlichkeit abzuwaschen.

Ihr wisst, dass mir die Annäherung an die Kirche so schwer fällt, wie es meinem Katholiken unmöglich ist, mir zu verzeihen. Wären da nicht die vielen Frauen, die vielen Menschen, die meine Schwierigkeit teilen und doch mit der Kirche verbandelt sind, als Seelsorgerinnen, als Theologinnen, als Kirchenmusikerinnen.

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In der Ostermorgenmesse setzte ich mich vor den Neustädter Altar. Die Momente zwischen den Gebeten wollte ich jedenfalls dafür nutzen, um mir Gedanken über mein wozu und weshalb zu machen. Deshalb hatte ich wohl mehrmals geseufzt.

„Wenn man in einer Kirchenbank sitzt, macht man sich Gedanken darüber, warum die Sitznachbarin wohl hier sitzt.“

Ein Mann mit hochgezogenen neonorangen Socken, in kurzen Hosen und leuchtend blauem Pullover setzte sich in die Bank neben mich und zückte sein Handy. Er filmte. Damit erleichterte er mich. Mit gezücktem Handy tippte ich Gedanken und Reflexionen ein. Wer mich kennt weißt ja, dass ich schreibe. Dennoch erhitzt das Handy die Kirchengemeinde so, wie mich deren In-der-Kirchenbank-ganz-vorne-sitzen nervte, obwohl ich es an diesem Tag selbst tat und mitsamt abgelegtem Mantel, vollem Rucksack und Torte den vordersten Teil der Kirchenbank besetzte. Ich seufzte.

„Was war der erste Punkt?“ fragte mich der Mann während der Predigt.

„Ich höre nicht zu, Verzeihung!“

„Gestern war ich in der Karlskirche, die Messe war grauenvoll. Verständlich, dass die Menschen nicht mehr in die Kirche gehen. Aber die Vesper gestern im Dom war grandios! Der Priester hat mich berührt.“

Ich lächle und freue mich über die ähnlichen Erfahrungen und frage mich, was diesen Menschen in die Kirche gebracht hat. Während des Friedensgrußes streckte ich ihm meine Hand entgegen und er erwiderte mit einem kalten Händedruck.

„Warum bist du hier?“ frage ich unverschämt neugierig.

„Darmkrebs. Du?“

„Forschungsinteresse.“

„Dieses Gespräch hätte aufgenommen werden sollen“, lacht er.

Ich lächle. Ich werde es aufschreiben.

Ich bin Wissenschaftlerin, Philosophin, Beobachterin und ich bin Mensch. Ich habe mich dazu entschieden, Musikanthropologin zu sein. Und diese Entscheidung ist so fatal, dass sie gleichzeitig meine Persönlichkeit ist. Vielleicht wäre diese Entscheidung für andere Menschen weniger fatal? Bei mir ist es umgekehrt. Musikanthropologin sein ist meine Identität, nicht mein Beruf. (Wenn mir eine Ideologie vorgeworfen werden kann, dann diese!)

„Wenn wir etwas wollen, dann schaffen wir das. Es ist bemerkenswert, wie einfach es dann geht“, gibt mir der junge Mann eine Hoffnung, die er nicht mehr lange leben wird.

„Entscheidungen sind nie einfach, sie sind auch entbehrungsreich“, sage ich.

„Ich habe Darmkrebs im Endstadion. Im Darm kann man ihn nicht operieren. Er hat schon gestreut. Ich habe noch sechs Monate.“

Reinhard heißt er. Er hat in den letzten Wochen 15 kg Gewicht verloren. Er spricht mit mir, als wäre ich eine langjährige Freundin. Offen. Er hat sich im Darknet Pentobarbital besorgt. Ich bin beeindruckt. Dazwischen fange ich den Organisten ab, ob er nicht doch nocheinmal mit mir sprechen würde? Er wimmelt mich angewidert ab.

„Ich pilgere. Jakobsweg. Seit ich aus meinem Wohnort weggegangen bin, mich von meinem Mann getrennt habe, seitdem habe ich keine Schmerzen mehr. Vielleicht hätte ich mir den Darmkrebs erspart, wäre ich in Wien geblieben.“

Ich sterbe noch nicht. Aber wenn ich mir etwas wünschen könnte? Dass Ernst mir verzeiht, dass ich über ihn schreibe, dass ich über uns schreibe, dass ich ihm schreibe.

Leb wohl Reinhard.

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Unwissend wie ich bin, muss ich das Sterbemittel googeln. Erscheinen tut nur ein Suchergebnis: die Telefonseelsorge.

Von Volksliedern, Emanzen und virtuosen Organisten

Karl (so wie Karl der I., letzter Kaiser von Österreich), oder mein Kirchenmusiklehrer, setzt sich an den Stutzflügel und dudelt die Schubert G-Dur Messe herunter. Ich schaffe es dabei nicht einmal den Rhythmus zu verstehen. Dafür darf ich das Sopransolo singen, eine Oktave darunter, in Tenorlage. Er schimpft „das gehört höher!“ Mir ist das herzlich egal, ich trällere weiter. „Ich bin immer begeisterter von deiner Stimme“, sagt er. Singen kann ich es trotzdem nicht, aber zumindest in der Probe, weil ich ihm blättern sollte, musste er sich mein oktaviertes Sopransolo anhören. Und die drei wiederholten Takte, die ich auf der richtigen Tonhöhe sang, klangen wirklich gut.

Sonntag abends, wenn ich nicht gerade wieder in einem neuen Chor mitsinge (weil ich darf, siehst du Ernst?), kantoriere ich in der Pfarre Gumpendorf St. Ägyd. Sie ist eine historische Wiener Pfarrkirche. Der Stadtteil ist bereits 1136 urkundlich genannt, die Kapelle 1239. 1765-70 wurde die während der Türkenbelagerung zerstörte Pfarrkirche in ihrer heutigen Form errichtet.

Wenn ich also kantoriere, sitze ich im Altarraum. Dann muss ich mich auch abwechselnd hinknien, mich bekreuzigen und Amen sagen. Ich versuche nicht aufzufallen, frage mich, ob alles passt, was ich tue. Wirklich reflektieren tue ich das, was ich tue nicht. Momentan muss ich das zeremoniell lernen.

„Frauen durften früher nicht in den Altarraum“, erklärte mir der Orgelkenner.

„In der Sakristein sollte man nicht laut reden!“ wurde ich am Freitag zurechtgewiesen. Ein junges Mädl verdrehte die Augen, dieser sofortige Zuspruch ließ mich eine Gleichgesinnte erkennen. Ich erinnere mich an Gerlinde Haas, die Emanze unter den Wiener Musikwissenschaftler*innen, neben der ich manchmal während Vorträgen saß, die sie in leisen gebrabbelten Worten kommentierte, denen ich nur allzu gern zustimmte. Ob sie auch aufstand und ihre Gedanken für alle hörbar kundtat? Ich erinnere mich nicht mehr. Sie war gut. Vielleicht sollte ich mehr brabbeln.

Jedenfalls kantoriere ich in Gumpendorf. Dafür darf ich schwarze Punkterl auf Notenzeilen beten, die eben keinen festen Rhythmus haben. Psalmen sind rezitiertes Gebet, eben nicht gesungen. Diese Psalmen stehen in diesem kunstfertigen goldenen Buch, dem Lektionar, das während des Einzugs in die Höhe gehalten wird. Es enthält die Psalmen, die Lesungen und das Evangelium.

„Bitte mich nicht zu lesen, das überfordert mich. Wenn das mit dem Singen klappt, dann lese ich wieder“, sage ich dem Messner, dem ich während der Messe alles nachmache, von Knien, über Kopf senken und Hände falten.

Gestern stand ich zitternd vor dem Pult. Außerdem gehe ich immer so weit zurück, dass ich fast hinten vom erhöhten Pult herunterfalle, dass ich nicht so nahe am Mikrofon bin, weil dann klingt die ganze Kirche nach mir. Vielleicht war ich nicht konzentriert genug. Irgendwann dazwischen dachte ich mir, wenn Ernst mir zuhören würde, wie ich ängstlich zitterte? Warum zitterte ich den überhaupt? Atmen, erinnerte ich mich, in die Knie und atmen. Davon abgesehen, dass ich gestern jede Endsilbe noch einmal besonders betont hatte, weil es der letzte Ton im Psalm war und ich glücklich darüber war, ihn unbeschädigt erreicht zu haben. Schade eigentlich, diese ganze Angst, wegen fehlender Übung/Professionalität und die armen Kirchengehenden mussten sie erleben, die Angst einer Vierzigjährigen. Wäre ich zumindest Pubertär, würde mir jede meine Angst nachsehen, aber mit einer, die ihre Jugend bereits hinter sich hat, da fällt einem diese Nachsicht schwer, mir jedenfalls.

„Das, was ich da manchmal im Dom höre, das kann ich auch!“, hatte ich Markus Landerer überzeugt gesagt. „Ernst, kannst du eine Messe mit mir als Kantorin gestalten?“ „Dafür bist du nicht ausgebildet.“ Hätte er mich also gestern nach drei Monaten zitternd kantorieren gehört, wäre sein Kommentar wohl ein Schultern zuckendes „siehst du“ gewesen.

Zumindest Volkslieder singen kann ich.

„D-Moll und A-Moll. Und wenn du die rechte Hand frei hast, kannst du damit Pedal spielen.“ Karl meint die Bassbegleitung.

Karl hört die Akkorde von dem ihm vorgespielten „Santu Lazzaru“ ohne die Tasten des Klaviers zu brauchen. Ich suche mir den Text heraus und singe ihm den „Santu Lazzaru“ vor. Davon abgesehen, dass ich letztens einen zwölftonalen Capek versucht habe zu singen, singe ich gerne zweiakkordige Volkslieder. 20 Minuten D- und A-Moll. Trotzdem verspiele ich mich. „Ist schon schwer, zwei Akkorde zu spielen!“, ärgere ich mich. Dabei schaue ich auf die Tasten des Klaviers.

„Du, Karl, aus welchem Material sind die Tasten? Sie haben eine feine Maserung“, erkenne ich, während ich über die weißen Tasten fahre. „Sie sind aus Elfenbein. Das ist die Maserung der Knochen.“ Hatte ich diesen Stutzflügel also bis gestern als verstaubtes und verstimmtes altes Instrument nicht wirklich ernst genommen, wurde mir meine Ignoranz schlagartig bewusst. „Elfenbein“, wiederholte ich, während ich mit meinen Fingern über die spürbaren feinen Rillen fuhr. Hier unter meinen Händen lagen die aussterbenden Elefanten, neben dem gefährdeten Ebenholz, in einem unbeachteten Pfarrsaal abgestellt. Wie dumm wir Menschen sind. Berauben die Welt und lassen ein Objekt vor Scham verkommen, anstatt seinen unmenschlichen Wert zu pflegen. Dass für Orgeln auch Spanplatten verwendet werden, erfreut mich in Anbetracht dieses ungenützten Stutzflügels. Moment, und der Mahagoni Spieltisch im Konzerthaus? Hatte er auch Elfenbeintasten? (Und darauf hatte Apkalna nicht spielen wollen?)

In der Drehtürfalle

von Menata Njie

Erinnert ihr euch noch an die schwarze Göttin vom letzten Post? Ich finde sie nur zeitgemäß, obwohl sie gesellschaftlich alles andere als zeitgemäß ist.

Mit ‚meinem Präsidenten‘ Alfred lerne ich immer spannende Menschen kennen. Sei es der erste professionelle Wiener Tubaist, der damals in den ORF Sendungen als quotenschwarzer Exot eingeblendet wurde, oder die Gambische Politikerin Nije.

Nije’s Buch „In der Drehtürfalle“ wurde von Alfred lektoriert und vom Verlagshaus Hernals publiziert. Gestern um zehn wurden die Bücher geliefert und ich habe sie druckfrisch auf die erste Lesung nach Spittal an der Drau gebracht. „Thanks for your support. May love be with you.“ Signiert sie mein Buch. Dass es keine einfache Erzählung sein würde, dass die Lesung schwierig werden würde, dass Tränen fließen würden und Nije in schmerzerfüllte Gesichter sehen würde?

Die erste Lesung aus Nije’s Buch war im Rahmen eines Female Empowerment Netzwerkes. Besser hätte das Publikum hier in der Pampa nicht gewählt sein können. Ich fiel jedenfalls wieder einmal sofort auf, weil ich Schriftsteller’Innenverband gesagt hatte, mit einem ’ glutturalen Stopp.

„Wie, nur Schriftstellerinnen?“

„Ich verwende zwar häufig aus Spitzfindigkeit nur das generische Femininum, aber ich habe absichtlich mit Binnen I gesprochen“, erkläre ich. Meine Gegenüber sind etwas verzweifelt, wissen nicht wirklich was darauf antworten.

„Hätte ja sein können, dass Sie nur Frauen meinen“, die Eine, „ich verhalte mich gleichberechtigend, auch wenn ich es in der Sprache nicht immer umsetze“, die Andere.

Ich bin weder militant, noch böse, lächle verschmitzt und sage nichts mehr darauf. Ein freundlich wohlgesonnenes Lächeln, dass sie besänftigen sollte, immerhin hatte ich jetzt den ehrenvollen Stempel ‘Kampffemministin’ auf meiner Stirn, den ich mir in der Pampa nur allzuleicht verdiene.

Als die Lesung beginnt und Nije in Englisch kurze Anekdoten zu den geschriebenen Passagen erzählt, wird es hart.

„As girl you are not allowed to go to school.”

Das erste fassungslose Raunen, ob der afrikanischen Ignoranz, ging durch den Raum. Ob manche Nije trotz ihrer schwarzen Hautfarbe als Mensch wahrnehmen konnten?

Dass sie ‚mutilation‘ durchwegs als ‚mulitation‘ Aussprach verlieh der weiteren Erzählung ihrer gesellschaftlichen ‚Frau-Werdung‘ vielleicht sogar etwas an verbaler Gewalt. “Do you speak Creol in Gambia, you have a strong accent?” Damals, als sie zur Schule ging, konnten sie sich entscheiden entweder Englisch oder Arabisch zu lernen. „My culture doesn’t have certain sounds, that’s where my accent comes from. People that didn’t go to school don’t even speak English.”

Dass hier eine Frau vor uns saß, deren Körper die Dorfältesten Frauen ‚Bamba‘ mit einer Rasierkling brutal entstellt hatten, das schockierte alle. Und wenn schon die Hälfte nicht dabei gedacht hat, ‚die brutalen und rückständigen Afrikaner‘, ist zumindest die europäische Bildung gut verlaufen.

„During my time as a politician, we were able to pass a law that women who carried out female genital mutilation could be legally prosecuted and sentenced to prison.”

Dass in Gambia gerade Verstümmelnde unterstützt von Imamen auf die Straße gingen, um genau dieses Gesetz zu kippen, lässt Nije fassungslos und verärgert.

„How can a woman to whom this was done do such a thing herself! That is more than stupidity.”

“Sadistisch”, sage ich. “What about your children, are they safe in Gambia?”

„They are with my sister, they are not in the village.”

So als würde das Dorf für das Brutale stehen, das ihrem kindlichen Körper angetan wurde.

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